1. Hotel statt Schloss: Nicht so festlich wie gedacht
Die Eheleute H. wollten den Jahreswechsel in einem noblen Schlosshotel und ihren Hochzeitstag feiern. Sie buchten 3 Übernachtungen mit Galadinner und festlichem Silvesterkonzert. Anfang Dezember teilte ihnen der Reiseveranstalter mit Bedauern mit, dass das Grandhotel überbucht ist und bot als Ersatz ein 4-Sterne-Hotel im Nachbarort an. Allerdings sollte es dort an Silvester nur ein Buffet geben und zum Tanz war ein DJ engagiert. Das Ehepaar H. wollte nicht in das wenig glamouröse Hotel und stornierte die Reise. Zu Recht?
Roosbeh Karimi:
Urlauber können jederzeit vor Reiseantritt von der gebuchten Pauschalreise zurücktreten, müssen aber ggf. Stornogebühren zahlen (§651 h BGB). Ändert allerdings der Veranstalter die Reise wie hier erheblich und bietet ein unzumutbares Ersatzangebot an, können Urlauber ohne Stornogebühren vom Vertrag zurücktreten. Sie haben dann auch Anspruch auf Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreuden (§ 651 n BGB). Hätten die Eheleute das Ersatzangebot angenommen, bestünde ein Anspruch auf Reisepreisminderung (§§ 651 g Abs.3 BGB, Art. 250 § 10 EGBGB).
2. Koffer im Nirgendwo: Wenn der Flieger nicht rechtzeitig abhebt
Familie F. saß bereits im Flieger und freute sich auf ihr Kreuzfahrtschiff als der Flugkapitän mitteilte, dass sein Funkgerät nicht funktioniert. Er bat die Passagiere, wieder auszusteigen. Erst mit einem späteren Flieger und achtstündiger Verspätung erreichte die Familie schließlich den Hafen und gerade noch das Kreuzfahrtschiff. Die Koffer allerdings waren irgendwo auf der Strecke geblieben. Sie wurden erst 3 Tage später und mit einem Wasserschaden an Bord gebracht. Familie F. hatte sich bereits im nächsten Hafen neue Sachen gekauft und will nun Schadenersatz vom Reiseveranstalter. Zu Recht?
Sabine Fischer-Volk:
Ist ein Passagier von einem Flugausfall betroffen, hat er neben dem Recht auf Entschädigung auch Anspruch auf eine zeitnahe Beförderung zum gebuchten Zielflughafen (Art. 8 Abs. 1, b Fluggastrechte-VO). Dafür hat sich die Familie entschieden. Verspätet sich die Ersatzbeförderung, besteht nur dann kein Anspruch auf Entschädigung, wenn die Verspätung am Endziel weniger als 2 Stunden beträgt (Art. 5 Abs. 1, c, iii). Familie F. kam sogar mit einer 8-stündigen Verspätung am Endziel an.
Das Luftfahrtunternehmen ist von der Ausgleichspflicht gegenüber den Fluggästen nur dann befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der europäische Gerichtshof hat hierzu entschieden (Rechtssache C-394/14), dass Fluggesellschaften auch dann eine Ausgleichszahlung zahlen müssen, wenn das technische Problem am Flugzeug so wie hier unerwartet auftritt. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass sich technische Probleme am Flugzeug plötzlich und unangekündigt zeigen. Technische Defekte stellen ein für Luftfahrtunternehmen typisches und in Ausübung ihrer betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis dar, weshalb sich eine Airline nicht mit Bezug auf deren Seltenheit oder unvorhersehbaren Eintritt von Entschädigungszahlungen entlasten kann. Somit besteht auch bei einem technischen Defekt grundsätzlich ein Anspruch auf Entschädigung nach der Fluggastrechte-VO.
Hinweis:
Der BGH hat entschieden, dass Reisende in solchen Fällen nicht verlangen können, dass sie doppelt entschädigt werden, d. h. von der Airline und dem Veranstalter (BGH, Urteil vom 6. 8. 2018 – X ZR 128/18 und X ZR 165/18). Vielmehr müssen sie sich eine Entschädigungszahlung nach der EU-Fluggastrechte-VO wie im obigen Fall anrechnen lassen auf mögliche Reisemängelansprüche gegenüber dem Veranstalter; hier Schadenersatz für gekaufte Ersatzkleidung und beschädigte Koffer sowie Mängelansprüche wegen verspätet eintreffendem Reisegepäck. Auf beides zusammen besteht kein Anspruch. Zumeist aber sind Ansprüche aus der EU-Fluggastrechte-VO ohnehin höher.
3. Pünktlich eingecheckt: Wenn die Maschine dennoch ohne Sie startet
Familie H. hatte einen Flug gebucht und rechtzeitig am Abfertigungsschalter des Flughafens eingecheckt. Anschließend bummelte sie noch durch diverse Geschäfte und frühstückte in einem Cafè. Als sich die Familie 45 Minuten vor dem Abflug an der Sicherheitskontrolle einfindet, streikt dort die Technik. Man bittet die Passagiere, sich zu einem anderen Terminal zu begeben, wo sich die Abfertigungszeit wegen der zusätzlichen Passagiere weiter verzögerte. Als die Familie schließlich am Abflug-Gate eintraf, war der Flieger bereits weg. Sie buchte einen neuen Flug, der 2 h später zum Urlaubsort abhob. Nun will sie die Kosten vom Airport zurück. Zu Recht?
Roosbeh Karimi:
Nach Urteilen des AG Erding und AG München aus den Jahren 2016 und 2018 (AG Erding, Urt. v. 23.08.2016 [Az. 8 C 1143/16] und AG München, Urt. v. 05.10.2018 [Az. 154 C 2636/18]) haben Fluggäste Ansprüche gegen Airline oder Flughafenbetreiber. So besteht z. B. zwischen der Airline, bei der der Flug gebucht wurde und dem Flughafenbetreiber ein Vertragsverhältnis mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter (Passagiere). Den Airport z. B. kann ein sog. Organisationsverschulden treffen, da er die Sicherheitskontrollen so organisieren muss, dass Passagiere rechtzeitig zum Boarding erscheinen können. Der Flughafen München musste laut AG München in diesem Fall 80 % der zusätzlichen Kosten zahlen, die der Familie durch die Neubuchung entstanden waren. Die Richter sprachen keine 100 % der Kosten zu, da die Familie das Flughafenpersonal nicht nachdrücklich genug auf den bevorstehenden Abflug ihrer Maschine aufmerksam gemacht hatte.
Hier sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen Anspruch:
1. Der Fluggast war rechtzeitig am Flughafen.
Was als rechtzeitig angesehen wird, variiert je nach Einzelfall. Passagiere sind meistens auf der sicheren Seite, wenn sie 2 Stunden vor Abflug am Flughafen sind.
2. Es trat überraschend eine Verzögerung oder lange Wartezeit auf, die auf einen (Organisations-)Fehler von Airline oder Flughafenbetreiber zurückzuführen ist.
Lange Wartezeiten beim Check-in oder an der Sicherheitskontrolle dürfen nicht vorhersehbar sein und die Airline oder der Betreiber müssen es versäumt haben, alle Vorkehrungen zu treffen, damit Sicherheitskontrolle und Check-in sachgerecht durchgeführt werden können.
3. Der Fluggast hat das örtliche Personal am Flughafen auf sich und seine Situation aufmerksam gemacht.
Nur wenn der Fluggast bei Erkennen der Situation und Zeitnot selbst aktiv wird, trägt er kein Mitverschulden.
4. Winterurlaub ohne Schnee: Wenn das Wetter streikt
Der Reiseveranstalter hatte Frau K. laut Prospekt einen tollen Winterurlaub in den Bergen in einem luxuriösen Wellness-Hotel versprochen. Da sie begeisterte Skiläuferin ist, buchte sie auch gleich noch den vom Veranstalter angebotenen Skipass hinzu. Doch leider fiel das Skivergnügen sprichwörtlich ins Wasser, da es am Urlaubsort nicht schneite, sondern tagelang regnete. Der teure Skipass war deshalb überflüssig. Frau K. möchte nun den Reisepreis mindern und das Geld für den Skipass zurück. Zu Recht?
Sabine Fischer-Volk:
Schneemangel gilt auch im Skiurlaub grundsätzlich nicht als Reisemangel. Es handelt sich vielmehr um ein sog. allgemeines Lebensrisiko, für das Urlauber niemand anderen verantwortlich machen können; auch nicht den Reiseveranstalter oder Vermieter! Doch es gibt Ausnahmen.
Wann könnten Ansprüche bei Wetterkapriolen bestehen?
Witterungsbedingungen begründen dann einen Reisemangel, wenn eine bestimmte Eigenschaft der Reise nach der Leistungsbeschreibung (Prospekt, Website) zu erwarten war, etwa zugesagte Schneesicherheit, Packeis bei einer Polarkreuzfahrt, sauberes Meer (AG Köln NJW 2016, 879). Das Amtsgericht München befasste sich mit einem Fall, in dem ein Reiseveranstalter den Urlaubsort als ganzjährig schneesicher angepriesen hatte. Der Urlauber konnte erfolgreich den Reisepreis um 25 Prozent mindern (Az. 161 C 10590/89).
5. Schneechaos: Wenn der Urlaubsort eingeschneit ist
Herr S. machte sich mit einem Kumpel und dessen Auto auf den Weg zu einer urigen Skihütte in den Alpen, die er beim Eigentümer gebucht hatte. Die Freunde wollten dort die Weihnachts- und Silvestertage verbringen. Als sie im Skigebiet ankommen, sind die Straßen wegen Lawinengefahr gesperrt und ihre Hütte unerreichbar. Niemand konnte sagen, ob und wann sich die Wetterverhältnisse ändern werden. Sie mussten wieder abreisen und wollten ihr Geld zurück. Zu Recht?
Roosbeh Karimi:
In viele Winterorte reisen Skiurlauber mit dem Auto, doch die Fahrt kann beschwerlich werden. Viele Straßen sind schneebedeckt und glatt, manche wegen Lawinengefahr ganz gesperrt. Urlauber wie Herr S. sollten sich daher besser vor der Anreise auf den Seiten des ADAC, des ÖAMTC und des Touring-Clubs Schweiz über den Straßenzustand im Urlaubsgebiet informieren, um eine vergebliche Anreise zu verhindern. Auch der Lawinenwarndienst Bayern informiert über Straßensperrungen. Nicht zuletzt gehören Schneeketten in den Kofferraum, denn sie sind auf vielen Zufahrten in die Skigebiete Pflicht.
Obwohl Schnee im Winterurlaub eigentlich genau das ist, was sich Urlauber wünschen, ist zu viel davon kein Reisemangel, sondern das ganz normale Lebensrisiko. Ist der Skiort allerdings von Lawinen bedroht und ein Aufenthalt daher unmöglich oder ist die einsame Skihütte deswegen gar nicht erreichbar, liegen sog. außergewöhnliche Umstände vor. Dann können Pauschalurlauber (§ 651 h Abs. 3 BGB) nach einem Urteil des Amtsgerichts Herne ohne Stornokosten vom Reisevertrag zurücktreten (Az: 2 C 175/99). Auch Vermieter von Skihütten, Ferienwohnungen oder Hotels müssen dann den gezahlten Beherbergungspreis erstatten, da sie die Mietobjekte witterungsbedingt nicht zur Verfügung stellen konnten. Auf den Anreisekosten bleiben Individualurlauber allerdings sitzen.
6. Defekte Klimaanlage: Wenn die Gesundheit leidet
Familie G. flog in den Urlaub nach Ägypten. Als Frau G. einige Tage später durch den Flur ihres Zimmers geht, rutschte sie auf nassen Fliesen aus und verletzt sich das Kniegelenk schwer. Ursache war eine defekte Klimaanlage an der Decke, aus der unbemerkt Wasser ausgetreten war. Frau G. nahm ihre Auslandsreisekrankenversicherung in Anspruch und wurde vorzeitig nach Deutschland zur Operation geflogen. Sie machte Mängel- und Schadenersatzansprüche, aber auch Schmerzensgeld beim Veranstalter geltend.
Zu Recht?
Sabine Fischer-Volk:
Der Hotelier als Leistungsträger des Veranstalters hat bezüglich der Funktionalität der Klimaanlage offensichtlich Verkehrssicherungspflichten hinsichtlich deren Beobachtung und Wartung verletzt. In einem Land, in dem es ständig sehr warm ist und die Urlauber auf Kühlung angewiesen sind, bedarf die Klimaanlage einer ständigen Kontrolle. Das Verschulden seines Leistungsträgers als Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB muss sich der Veranstalter zurechnen lassen (dazu auch BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 – X ZR 4/15 – OLG Düsseldorf).
Durch den schweren Unfall von Frau G., der den Abbruch der 15-tägigen Reise 2 Tage vor der planmäßigen Abreise nach sich zog, den Schreck und die Angst der Familienmitglieder um die Gesundheit von Frau G., ging der Erholungswert der Reise für alle Reiseteilnehmer gegen „Null“ (dazu auch Urteil des BGH vom 14. Mai 2013, AZ: X ZR 15/11 sowie BGH vom 15. Juli 2008; AZ: X ZR 93/07). Dies kann zu einer Reisepreisminderung bis hin zur Rückzahlung des Gesamtreisepreises führen.
Durch das geschilderte Ereignis hat die Familie auch Anspruch auf Schadensersatz für vertane Urlaubszeit nach §§ 651 i Abs. 3 Nr. 7, 651 n Abs. 2 BGB, der mit der Rechtsprechung auf den hälftigen Gesamtreisepreis zu beziffern ist(dazu auch BGH, Urteil vom 11. Januar 2005, Az. X ZR 118/03).
Die § 651 n Abs. 1 iVm § 253 Abs. 2 BGB gewähren außerdem Ersatz für immaterielle Schäden. Während § 651 n Abs. 2 BGB eine Entschädigung für vertane Urlaubszeit vorsieht (siehe oben), kann ein Reisender nach § 651 n Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB Schmerzensgeld verlangen. Beide Forderungen können nebeneinander geltend gemacht werden, werden also nicht verrechnet. Zudem hat Frau G. Anspruch auf Ersatz ihrer Behandlungskosten nach § 823 Abs. 1 BGB.
7. Falsch gebettet: Wenn die gebuchte Zimmeraufteilung nicht stimmt
Familie L. hatte für 5 Personen eine Pauschalreise gebucht. Dabei sollten die beiden Kinder und ihre Oma in einem Apartment, bestehend aus zwei Schlafzimmern mit je einem Doppelbett übernachten. Vor Ort allerdings wurde ihnen ein Zimmer mit zwei Einzelbetten und einer Couch angeboten. Familie L. möchte deshalb eine Reisepreisminderung und Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreuden, da beide Kinder wegen des lauten Schnarchens ihrer Oma nicht schlafen konnten und die Oma auf der unbequemen Couch heftige Rückenschmerzen bekam. Zu Recht?
Sabine Fischer-Volk:
Dazu hat das Amtsgericht Hannover in seinem Urteil vom 23.03.2018 (AZ: 442 C 12227/17) entschieden, dass Urlauber allein schon wegen der falschen Zimmerzuweisung einen Anspruch auf Reisepreisminderung in Höhe von 30 % haben. Hinzu kommen weitere 8 %, da die Oma nicht wie gebucht in einem Bett, sondern auf einer Couch schlafen musste.
8. Schmerzhafter Urlaub: Wenn Magen und Darm streiken
Das Ehepaar M. freute sich auf seinen Urlaub auf dem Kreuzfahrtschiff, der leider bald getrübt wurde. Denn bereits am 3. Tag plagten sie heftige Bauchschmerzen mit Fieber, Durchfall und Erbrechen. Das Paar hatte einige Tage Beschwerden und musste deshalb auch die mitgebuchten Ausflüge absagen. Sie vermuteten, sich an Bord mit Salmonellen angesteckt zu haben. Nach der Reise machten sie beim Reiseveranstalter Mängel- und Schadenersatzsprüche geltend. Zu Recht?
Roosbeh Karimi:
Das Amtsgericht Rostock (Urteil vom 10.12.2014- 47 C 210/14) entschied in einem ähnlichen Fall, dass Urlauber keinen Anspruch auf eine Reisepreisminderung und Erstattung der Arztkosten haben. Eine Magen-Darm-Erkrankung, so die Richter, stelle keinen Reisemangel dar, da sich dadurch das allgemeine Lebensrisiko verwirkliche. Mit einem Magen-Darm-Virus könne man sich schließlich überall angesteckt haben. Auch die Undurchführbarkeit der Ausflüge liege einzig und allein an der Erkrankung der Urlauber und nicht in einer Schlechtleistung des Reiseveranstalters.
Hinweis:
In solchen Fällen ist es sehr schwer, die Ursachen einer solchen Erkrankung beim Veranstalter, der Reederei oder dem Hotelier zu suchen. Denn Passagiere könnten sich bereits vor der Reise, bei erkrankten Mitreisenden oder auch beim Landgang angesteckt haben. Erst ab einem hohen Prozentsatz der Betroffenen Passagiere an Bord, wird eine Ursächlichkeit an Bord vermutet.